"if you can't beat them in the alley, you can't beat them on the Ice" - (Conn Smythe) Aus dem Poesiealbum der Broad Street Bullies, der deutschen Nationalmannschaft gewidmet!

Donnerstag, 12. Juli 2018

Stell Dir vor, es ist WM und keiner ..., 5. Folge


Nach dem Urlaub und vor dem zweiten Halbfinale will ich mal wieder meinen Senf zum Gesehenen und Geschehenen abgeben.
Endlich, nach einer m.E. zähen und weitgehend unansehnlichen WM, steht das drittletzte Spiel an. Immerhin waren/sind in diesem Halbfinale die drei Mannschaften vertreten, die, zusammen mit Brasilien, am besten Fußball spielen können. Leider taten das die Franzosen, Belgier und Kroaten auch nicht immer, insbesondere die Franzosen haben die grassierende Krankheit des (post-)modernen Fußballs, sie stehen hinten massiert, kompakt, geordnet, diszipliniert und körperlich sehr präsent und verzichten oft auf die offensive Initiative. Aber sie verfügen mit Pogba, Griezmann und Mbappe über Spieler von absoluter Weltklasse, die jederzeit durch außergewöhnliche Aktionen das Spiel entscheiden können und mit ihrer Technik das Auge des ästhetischen Fußballbetrachters erfreuen können.
Die vierten im Bunde, die Engländer, sind nicht dank ihres überschaubaren Könnens unter die letzten vier gelangt, aber danach fragt später niemand mehr. Seit über 40 Jahren beobachte ich nun schon das Phänomen, daß in England, sobald ein Spieler auftaucht, der etwas überdurchschnittlich kicken kann, jedes Augenmaß verloren geht und ernsthaft der WM-Titel erwartet wird. So war es zu Zeiten von Kevin Keegan, Bryan Robson, Gary Lineker, Paul Gascoigne, Michael Owen, David Beckham, Lampard / Gerrard (die nicht zusammen konnten, es spielte meist nur einer). Alle solide, wie gesagt überdurchschnittlich, aber nie Weltklasse, keine "Unterschied-Spieler". Den Engländern war es egal, so wie sie auch das diesjährige Team überhöhen und überschätzen.
Naja, als Deutscher sollte man da besser still sein, wir haben uns auch nicht bei jeder der vielen Halbfinalteilnahmen mit Ruhm bekleckert ('82, '86, '02). Genau genommen wurde die deutsche Mannschaft auch beim insgesamt nicht mal unverdient gewonnenen Turnier 1990 von Spiel zu Spiel schwächer, nach dem Achtelfinale gegen die Niederlande kam keine überzeugende Leistung mehr. 
Was mich zum deutschen Fußball bringt: kaum vorstellbar, aber die Verantwortlichen geben in der bisherigen Nachbetrachtung oder Aufarbeitung ein noch beschämenderes Bild ab als die Mannschaft es beim Turnier gezeigt hatte. Die wirklich relevanten Fragen sind m.E.: warum waren so viele Spieler außer Form oder haben keine Leistung abgerufen, warum wurde die Kaderauswahl so getroffen, warum war keine Spielidee erkennbar, warum fanden Leistungen bei Nominierung und Aufstellung so wenig Berücksichtigung und überhaupt, was war eigentlich mit Trainer Löw los? Im Gegensatz zu seiner zur Schau gestellten Tiefenentspanntheit schien der Bundestrainer nichts unter Kontrolle zu haben. Vorbereitung? Training? Taktische Ausrichtung, Handeln der Spieler auf dem Platz und im Quartier? Verhalten von Menschen, die warum auch immer auf der Bank saßen? Löw wirkte so, als habe er mit all dem nichts zu schaffen. Aber immer die Ruhe bewahrt. Was den Eindruck, er nehme gar nicht Anteil oder interessiere sich gar nicht für das, was da passiert noch unterstreicht. Was wiederum auch zu seiner Entrücktheit passen würde, die neben der Entspanntheit der führende äußere Eindruck von ihm ist, der nach der WM zurückbleibt.  Und jetzt? Man (Grindel und Bierhoff) hat entschieden, eine Kampagne gegen Özil zu starten. Anstatt sich o.g. Fragen zu stellen. Mit dem Trainer fraglich abgestimmt. Wenn er nicht hinter diesem Bauernopfer stehen sollte, warum springt er Özil dann nicht zur Seite? Özil gehört sicher nicht zu denen, die am weitesten von ihrem Potenzial entfernt agiert haben. Geradezu absurd muteten die Darbietungen von Müller an, auch Kroos, den man versucht hatte, zum Gesicht der Mannschaft zu stilisieren, mangels Weltklassespielern, war bestenfalls grenzwertig in seinen Leistungen. Sicherheits- und Alibipässe, Ballverluste und halbherziges Zurückarbeiten - so sehe ich seine Turnierbilanz. Sein Anteil an den Erfolgen von Real Madrid wird in Deutschland vielleicht auch etwas überschätzt. Ein spielentscheidender Kreativspieler war er jedenfalls m.E. nur vor vielen Jahren im Trikot von Leverkusen. Und zu Özil und Gündogan: Wann hat jemals ein Beckenbauer, Overath, Maier oder Müller, Breitner, Schuhmacher, Rumenigge oder Matthäus beteuert, wie viel es ihm bedeutet, für Deutschland zu spielen? Die Nationalhymne singen? Dazu fallen mir vor allem der Kaugummi mampfende Schuhmacher, die stoisch-starren Minen von Kaltz und Rumenigge beim Abspielen der Hymne ein. Beckenbauer habe ich als Spieler nie mitsingen sehen und was Breitner gesagt hätte, wenn Hermann Neuberger verlangt hätte, die Spieler sollten die Hymne singen, das kann sich jeder vorstellen, der ihn als Aktiven erlebt hat (als er noch nicht der dummschwätzende Markenbotschafter des FCB war, sondern ein kritischer, mündiger und erfolgsbesessener Spieler). Also höre man mir bitte mit diesem patriotisch-nationalistischen Quatsch auf, wenn es um eine Mannschaft aus in erster Linie am eigenen Fortkommen interessierten Einzelspielern geht. 
Sieht man einen Luca Modric  (33) spät in der Verlängerung gegen Russland über das halbe Spielfeld im Vollsprint einem Ball hinterherjagen, um diesen am Überschreiten der Auslinie zu hindern, dann weiß man jedenfalls, warum Deutschland mit Recht nicht die K.O.-Phase erreicht hat. Und natürlich auch, weil wir keinen James, keinen Mbappe, keinen Pogba, Griezmann, Hazard, noch nicht mal einen Kane haben. 
Deutschland abgehängt, sehenden Auges in diese Lage geraten.
Ansonsten bleibt mir nach dieser WM vor allem die Frage, wann bei der FIFA endlich der gesunde Menschenverstand einsetzt und die reine Spielzeit eingeführt wird. Wenn schon der Fußball immer unattraktiver wird, dann sollte wenigstens endlich das unsägliche Zeitspiel, das so oft als zusätzliches taktisches Mittel eingesetzt wird, eliminiert werden. Und der Videoassistent sollte verstärkt gegen grobe Unsportlichkeiten zur Anwendung kommen. Ich stelle mir in kühnen Phantasien vor, daß es vor dem Spiel eine klare Ansage des Schiedsrichters gibt, daß Spieler, die wissen, daß es keinen (relevanten) Kontakt in einem Zweikampf gab und dennoch simulieren, sie seien gefoult worden, grundsätzlich mit gelb bestraft werden und umgekehrt Spieler, die wissen, daß es einen Kontakt gab und dennoch sofort reklamieren, es habe keinen gegeben, ebenfalls. Dank der Videotechnik wissen die Spieler ja, daß sie jederzeit zu überführen sind.
Eine der Szenen der WM war für mich, als im Viertelfinale BRA-BEL Neymar nach seiner Schwalbe im Belgischen Strafraum sein übliches Herumwälzen aufgab, aufsprang und auf Weiterspielen drängte, während einige Brasilianer noch den Videoassistenten forderten. Er wusste, daß die eindeutige Schwalbe eine gelbe Karte zur Folge hätte haben können, was eine Sperre für das Halbfinale nach sich gezogen hätte!  
Unter dem Strich verstehe ich nach Russland 2018 besser, warum das Spiel in den USA nicht ernst- und angenommen wird (zumal, wenn ich die bestenfalls zweitklassigen Spiele der Major League Soccer anschaue). Es passiert einfach zu wenig. Inzwischen gibt es ja auch Statistiken über die "echten" Torschüsse, analog zum Eishockey. Zählt man nur die Schüsse, die aufs Tor kommen und nicht wie bisher üblich alles, was zwischen den Eckfahnen ins Aus geht, so wird aus zweistelligen Torschüssen eine an einer Hand abzählbare Menge, nur ausnahmsweise pariert ein Torhüter einmal mehr als fünf Schüsse in einem Spiel. Ansonsten ereignisarme Abwehrschlachten wo man hinsieht. Auch ohne Italiener. 
Wird Zeit, daß die WM endet und endlich Fußballpause ist.          

Keine Kommentare: