Das wäre früher nicht so leicht gewesen, denn ...
Was viele nicht wissen mögen und was sich selbst auf den zweiten und dritten Blick nicht erschließt: Wien war einst eine Hochburg des Fußballs. Bereits 1924 wurde eine Profiliga eingeführt, die nur aus Hauptstadtklubs bestand, der Fußball aus den Bundesländern wurde als Amateurfußball geführt. Als es noch keinen der heutigen Europapokalwettbewerbe gab, existierte der Mitropa-Cup, der höchstrangige Vereinswettbewerb, an dem außer den Wiener Clubs u.a. die Spitzenteams aus Italien und Ungarn teilnahmen. Hier spielten die Wiener Vereine meist gute Rollen, die Partien lockten stets mehrere Zehntausend ins Praterstadion. Die überall im Stadtgebiet verteilten Vereinsstadien waren für diese Spiele zu klein. Neben dem Vereinsfußball machte - bevor Deutschland erstmals mit der Breslau-Elf ein Team von Rang besaß - auch die Nationalmannschaft, wegen ihrer Spielweise und Ergebnisse als Wunderteam bezeichnet, Furore. Zeitgenössische Beschreibungen lassen das "Scheiberlspiel" des Wunderteams, eine technisch feine, verspielte Art Fußball zu zelebrieren, wie den heutigen Stil der Spanier vor dem geistigen Auge erscheinen. Allen voran der Austrianer Matthias Sindelar, wegen seiner Statur "der Papierene" genannt, war ein Idol der Wiener Buben, nach seinem mythenumrankten Tod säumten Tausende den Trauerzug. Bei der WM 1934 scheiterte man im Halbfinale am späteren Weltmeister Italien, nicht zuletzt dank merkwürdiger Schiedsrichterentscheidungen, die damals den Gastgebern den Weg ebneten.
Die 20er und 30er Jahre des Wiener Fußballs waren auch beim Publikum ein Riesenerfolg, auch weil - hier den Deutschen um Jahrzehnte voraus - sich alle Bildungsschichten vom runden Leder angezogen fühlten. Die intellektuelle Elite der Kulturmetropole ebenso wie die Arbeiterschaft, Fußball war gesellschaftsfähig. In Deutschland dagegen war der Fußball bis weit in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts (Spieler und Publikum betreffend) eine Domäne der Proleten, ehe sich zunehmend auch Intellektuelle und der Kulturbetrieb zu unser aller Lieblingssport bekannten. In Wien gab es also schon viel früher Spiel- und auch Fankultur, letztere allerdings in anderem Sinne als heute verstanden, als bei uns.
Heute muß man sich schon sehr aktiv auf Spurensuche begeben, um Belege für den ehemals hohen Stellenwert des Sportes zu finden. Im Hier und Jetzt scheint der Fußball den Wienern herzlich egal zu sein. Anders als in deutschen Städten, findet er hier im öffentlichen Bild kaum statt. Autoaufkleber, Minitrikots in Autofenstern, Passanten in Fankleidung, Spielplakate im Straßenbild, Fanartikel in Geschäften? Alles Fehlanzeige! Am Spieltag trifft man keine pilgernden Fans in der Innenstadt. Die Zuschauerzahlen sind wie auch die Leistungen eher dritt- denn zweitklassig.
Sucht man den Wiener Fußball, so findet man vieles, das nicht mehr da ist. Ehemalige Meisterclubs existieren nicht mehr, wie Admira und Wacker, deren Fusion und Fortbestand als Admira-Wacker eine von den Fans nicht akzeptierte Mogelpackung darstellte, da dieser Anfang der 70er entstandene Club fortan nicht mehr im Wiener Stadtgebiet zu Hause war. Ein weiterer mehrfacher ehemaliger Meister, Hakoah Wien, war ein rein jüdischer Club, der von den Nazis ausgelöscht wurde. Die Altmeister Vienna und Sportclub sind in der Versenkung der zweiten bzw. dritten Liga verschwunden, geben seit Jahren nur noch kurze Stipvisiten in der ersten Liga ab. Eine traurige Entwicklung, zumal die Blütezeit des Wiener Fußballs auch durch die Machtergreifung der Nazis nicht vollständig gebrochen wurde, wenngleich das Wunderteam ausgedient hatte, der vielleicht beste europäische Mittelstürmer der Zeit, Matthias Sindelar, Karriere und bald danach auch Leben hinter sich hatte.
Nach dem Krieg ging es auch gut weiter, Zuschauerandrang und Leistungen weiterhin auf hohem internationalen Niveau, wie nicht zuletzt das starke Abschneiden bei der WM 1954 auswies, als die Nationalelf im Halbfinale gegen den späteren Weltmeister aus Deutschland nur sehr unglücklich scheiterte. Das Team um die Stars Oczwirk, Happel, Hannapi mußte sich u.a. durch zwei Elfmeter geschlagen geben und hatte das Handicap zu tragen, daß der sonst starke Torhüter Zeman, durch einen Sonnenstich geschwächt, völlig verwirrt in seinem Revier umhertorkelte.
In den sechziger Jahren begann der Niedergang der alten Herrlichkeit, es wurde auch erstmals mit dem Linzer ASK ein nicht-Wiener Club Meister. Nach und nach verschwanden Vereine von der Bildfläche (neben Admira und Wacker auch noch der FC Wien, zwar nie Meister aber auch Jahrzehnte eine feste Größe), geblieben sind lediglich Rapid und Austria, die jedoch allzu oft der Musik in der Liga hinterherlaufen. Auch das vorübergehende Zwischenhoch - bis jetzt das letzte - Ende der 70er Jahre mit der WM '78, Europapokal-Final- und Halbfinalteilnahmen der Austria konnte daran nichts ändern. Heute trägt die Austria das Derby gegen Rapid nicht mal mehr im Prater aus, sondern im eigenen, nur 11.000 Zuschauer fassenden Horr-Stadion, so weit ist es gekommen.
Die Hohe Warte fasste einst 90.000 Besucher, in den 20er und 30er Jahren war die Naturarena quasi das Nationalstadion. |
Ein Wiener Intellektueller, der mit Fußball nichts am Hut hatte. |
Darum beneidet Wien die ganze Welt: das Schnitzel von Figlmüller, hier bereits zur Hälfte geschafft. |
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen