"if you can't beat them in the alley, you can't beat them on the Ice" - (Conn Smythe) Aus dem Poesiealbum der Broad Street Bullies, der deutschen Nationalmannschaft gewidmet!

Dienstag, 19. Juni 2018

Stell Dir vor, es ist WM und keiner ..., 2. Folge

Eröffnungsspielorte: Die Eröffnungsspiele, die ich gesehen habe und Erinnerungen daran. Bis einschließlich 2002 spielte jeweils der Titelverteidiger zum Auftakt vor, oft mit mäßigem Erfolg. Die Geschichte zeigt, daß die Weltmeister, die lange automatisch, d.h. ohne eine Qualifikation spielen zu müssen, qualifiziert waren, oft den Umbruch verpasst haben, vielfach zu lange an den verdienten Spielern über deren Leistungshöhepunkt hinaus festgehalten wurde. Kein neues Problem also. 

Das Stadio Monumental in Buenos Aires, wie das River Plate auch mal genannt wurde, vor seinem Ausbau für die Endrunde 1978 (das fehlende Viertel des Oberranges wurde noch hinzugefügt - s.u.).

Wie damals der Tradition entsprach, war auch 1978 der Titelverteidiger im Eröffnungsspiel am Start. Die Gruppenauslosung wollte es sogar so, daß der 1. auf den 3. der letzten WM traf. Es wurde ein trostloser Kick, leider in diesem Fall ein Vorbote dessen, was die Deutschen im weiteren Verlauf noch bieten sollten. Es war ihr erstes von insgesamt drei 0:0. Sepp Maier, mit seiner Dauerwelle auf der Höhe der Zeit, hielt sehr stark, vorne fand das Traumduo Fischer/Abramczik nie zu gewohnter Form und aus dem Mittelfeld kamen weder von Antreiber Bonhof noch von Spielmacher Flohe die gewünschten Impulse. Lediglich im zweiten Spiel gegen die schwächste aller 16 Mannschaften, Mexiko, gab es mit einem leichten 6:0 ein kleines Strohfeuer. die folgenden vier Spiele blieb Deutschland ohne Sieg, mit einem blamablen 0:0 gegen Tunesien und der Schmach von Cordoba als Tiefpunkt bzw. "noch tieferer Tiefpunkt" (R. Völler) eines verkorksten Turniers. Für Deutschland waren noch einige Weltmeister am Start, aber leider nicht Beckenbauer, Müller, Overath, Grabowski oder Breitner.

Das Camp Nou in Barcelona sah 1982 den Auftritt des Weltmeisters + Diego Maradonna, letzterer vor seinem damaligen Heimpublikum. Gegner war Vize-Europameister Belgien abzüglich seines zurückgetretenen Spielmachers Van Moer. Herausgekommen war ein 1:0 des Außenseiters, der gnadenlos Beton anrührte, Maradonna über den ganzen Platz verfolgte, umzingelte und damit entnervte. Beim Weltmeister stimmte die Mischung nicht, Maradonna, das Jahrhunderttalent, war noch sehr jung, noch nicht soweit, die Mannschaft zu führen, die von 1978 übriggebliebenen waren nicht mehr so weit. Durch die Niederlage zum Auftakt wurde man in der Gruppe nur Zweiter, kam dadurch in der Zwischenrunde in die Hammergruppe mit den nach schwacher Vorrunde (sieglos!) plötzlich durchstartenden Italienern und den zauberhaft aufspielenden Brasilianern. Argentinien verlor beide Spiele, wobei auch Maradonna die Nerven durchgingen, nachdem er permanent gefoult worden war. Brasilien anno 1982, nach Ansicht vieler die beste Mannschaft, die nicht Weltmeister wurde (vor Ungarn 1954 und Holland 1974), scheiterte an Italien, den späteren Weltmeister. Weil sie beim Stand von 2:2, was fürs Halbfinale gereicht hätte, nicht aufhören wollten oder konnten, zu stürmen. Schade u.a. für Socrates, der extra für das Turnier mit dem Rauchen aufgehört hatte!  

1986 eröffneten Italien und Bulgarien das Turnier, im Stadion, wo auch später das Endspiel stattfinden sollte. Ohne Teilnehmer des Eröffnungsspiels. An das Spiel habe ich keine Erinnerung, außer, daß es schlecht war, 1:1 endete und wie so oft einen Titelverteidiger zeigte, bei dem die Mischung aus alt und neu nicht stimmte und - bei den Italienern sowieso meistens so - nach vorne nicht viel zusammenlief. Die Bulgaren waren damals nur als Außenseiter gehandelt worden, völlig zurecht.

Ungewöhnliche Karte, die keinen der Mailänder Vereine als Heimclub ausweist, sondern den Dauerrivalen Juve, der gelegentlich hierher auswich. Das Meazza- oder San Siro-Stadion oder wie auch immer der korrekte Name lautete nach seinem Um- und Ausbau für Italia 1990. Ein trutziger Koloß, meiner Meinung nach unästhetisch, Brutalismus von oben.

Dasselbe Stadion, diesmal von innen, sogar während des Eröffnungsspieles Argentinien - Kamerun, aufgenommen. Das Spiel war ähnlich angelegt wie ARG - BEL acht Jahre zuvor: 11 gegen Maradonna, wobei Kamerun viel rustikaler zu Werke ging als Belgien, Maradonna oft schmerzhaft getroffen zu Boden ging. Die Freude über den Außenseitersieg (1:0) wurde erheblich vergällt durch das absurd harte Einsteigen der Afrikaner. Im weiteren Verlauf wurden die Verhältnisse etwas zurechtgerückt: Die Kameruner fanden auf den Pfad der Tugend zurück, begeisterten durch Fußballkunst und drangen ins Viertelfinale vor, wo sie England am Rand der Niederlage hatten. Argentinien kam mit einem Maradonna in Topform, allerdings mehr oder weniger als Ein-Mann-Show, ins Finale. Also der seltene Fall, da ein Team, das das Eröffnungsspiel bestritten hatte, ins Finale kam.

Deutschland reiste als Weltmeister in die USA, vom damals schon zum Dummschwätzen neigenden Beckenbauer bei Amtsübergabe für unschlagbar erklärt. Was er nicht vorhergesehen hatte, war, daß die Mischung aus neuen und alten nicht harmonierte. Effenberg, Sammer, Helmer und ein gereifter Andi Möller, allesamt Alpha-Tiere in ihren Vereinen, einerseits und Matthäus andererseits waren keine Einheit, Häßler hatte wie der Kapitän und der 34-jährige Völler den Zenit längst überschritten und mit Bodo Illgner setzte Trainer Vogts auf den falschen Torhüter, Köpke war seinerzeit der beste deutsche Keeper. Das Eröffnungsspiel gegen Bolivien endete immerhin 1:0 für den Titelverteidiger, aber das Aus kam nach dürftigen Leistungen verdient im Viertelfinale. Das Turnier in den USA stellte Zuschauerrekorde auf, spielerisch war es arm, Weltmeister wurde Brasilien, mit Leistungen, derer sich das heimische Fußballvolk eher schämte. Es wurde sogar gesagt, sie hätten den Fußball getötet. Die gescheiterte Mannschaft von 1982 um Zico, Sokrates, Cerezo, Falcao, Eder u.a., genießt jedenfalls mehr Sympathien und Anerkennung als die Weltmeister von 1994, die in einem deprimierenden Finale die Italiener im Elfmeterschießen besiegten.

1998 war wieder einmal das Eröffnungsspiel im späteren Finalstadion, und, selten, der Titelverteidiger kam zum Finale wieder nach Saint Denis. Brasilien schlug zum Turnierauftakt Schottland mit 2:1, aber ich muß gestehen, daß ich das nachlesen musste, obwohl ich das Spiel gesehen habe. Durchs Turnier kamen die Brasilianer ohne Glanz, im Finale machte der weltbeste Spieler der nächsten Jahre zwei Tore gegen Brasilien - mit dem Kopf! - während der in seiner Blüte stehende Ronaldo, durch unklare gesundheitliche Probleme geschwächt (die Rede war u.a. von epileptischen Anfällen), im Endspiel kein Faktor war. 

Das Stade de France, Schauplatz von Eröffnungsspiel und Finale 1998, von innen. 

2002 war erstmals die Ausrichtung an zwei Länder vergeben worden. Korea bekam das Eröffnungsspiel, Japan dafür das Finale. So sahen knapp 70.000 Zuschauer mal wieder einen Fehlstart eines Titelverteidigers. Die Franzosen traten wie viele vor ihnen auf, satt, behäbig, überheblich und ohne Biß. Auftaktgegner war Senegal und die wackeren Afrikaner erarbeiteten sich einen 1:0-Sieg gegen die ehemalige Kolonialmacht. Die Franzosen holten nur einen Punkt, erzielten kein Tor und wurden Gruppenletzter. Das Finale bestritten Brasilien (zum dritten Mal in Folge!) und Deutschland. Die Mannschaft von Rudi Völler war nicht gerade eine Zierde für den Fußballsport, man rumpelte sich durchs Turnier und scheiterte verdient an Ronaldo, Ronaldinho und Rivaldo. Leider ausgerechnet durch einen Patzer des großartig haltenden Oli Kahn begünstigt. Bei einem anderen Torhüter hätte man die nach vorne abprallende Parade, die zur Führung der Brasilianer beitrug, vielleicht noch nicht mal als Fehler bewertet, aber Kahn war so gut, daß die Maßstäbe bei ihm höher waren.

2006 brachte die Abkehr vom Eröffnungsspiel mit Titelverteidiger. Stattdessen spielte fortan der Gastgeber. In Deutschland 2006 bekam ein Spielort (die Fußballhauptstadt) den Zuschlag für das Eröffnungsspiel, ein anderer (die Bundeshauptstadt) den fürs Finale. Ein oft durchgeführter Akt des Proporzes aber auch der Verteilungsgerechtigkeit, angemessen einem Gastgeberland mit reicher Fußballtradition und -Infrastruktur.

Das Münchner Stadion in der Innenansicht. Hier stellte die Klinsmann-Mannschaft mit einem furiosen 4:2 gegen Costa Rica die Weichen für ihr sogenanntes "Sommermärchen". Das deutsche Team scheiterte im Halbfinale nach der 118. Minute an Italien. Schon in der Runde zuvor war die couragiert auftretende Mannschaft gegen sehr starke Argentinier an ihre Grenzen gestoßen, hatte aber im Elfmeterschießen die Oberhand behalten. Immerhin das seit langem, wenn nicht sogar das attraktivste Eröffnungsspiel überhaupt.    

2010 eröffnete Gastgeber Südafrika gegen Mexiko in Johannesburg. Nicht im hier abgebildeten Ellis Park, sondern im moderneren Soccer Park, von dem ich kein Bild habe. Die Vergabe an ein fußballerisch eher limitiertes Land brachte die Rückkehr zur Eröffnungs-Magerkost, das Spiel endete 1:1 Trotz eines Sieges über eine zerrüttete französische Mannschaft im dritten Gruppenspiel, war für den Gastgeber wegen der schlechteren Tordifferenz schon nach der Vorrunde Schluss. Es blieb dennoch ein Stimmungsvolles Turnier, in dem die Deutschen teilweise begeisternden Fußball spielten (4:1 gegen England im Achtel- und 4:0 gegen Argentinien im Viertelfinale), gegen Spanien im Halbfinale aber keine Lösung mehr fanden. Die Weiterentwicklung seit 2006 machte jedenfalls Freude, man hatte eine Serie von drei Halbfinals in Folge und verdankte die Erfolge '06 und'10 ausnahmsweise nicht den "deutschen Tugenden", die Zeiten von Briegel, Jakobs, Förster und Förster, Eder, Ramelow und Jeremies als prototypische deutsche Spieler waren vorbei. Weltmeister wurde Spanien, durch Tor von Iniesta, dem größten Spielmacher der Zeit, im damals schon grassierenden Hype um C. Ronaldo und Messi aber immer unterhalb des Radars.

2014 wurde in Sao Paolo natürlich nicht im hier abgebildeten Morumbi eröffnet, sondern in einem nagelneuen FIFA-konformen Vorzeigepalast. Brasilien gewann gegen Kroatien 3:1 und hatte, auch wenn nicht restlos überzeugend, scheinbar seinen ersten Schritt zum programmierten Titelgewinn getan. Die pathostriefenden, emotional maßlos überladenen Auftritte der Mannschaft vor den Spielen deuteten jedoch schon früh auf die große Anspannung der Gastgeber und ihre letztlich zum Scheitern führende Überforderung hin. Immerhin kam der Gastgeber bis ins Halbfinale, aber historisch einmalige 1:10 Tore in den beiden letzten Spielen sind der Eindruck, der zurückbleibt, unauslöschbar vor allem durch die 1:7-Demütigung durch den späteren Weltmeister Deutschland. Die Mannschaft von Jogi Löw war am logischen Höhepunkt ihrer kontinuierlichen Entwicklung der letzten 10 Jahre angekommen. Ausgerechnet der verletzungsbedingte und Panik auslösende Ausfall von Mannschaftskapitän Ballack vor dem Turnier in Südafrika vier Jahre zuvor hatte endgültig eine Wende zum schnelleren Offensivfußball gebracht, der von Özil, Müller, Lahm und Schweinsteiger geprägt war. In Brasilien 2014 waren Schweinsteiger und Lahm, Özil und Müller, Hummels und Boateng, Kroos und nicht zuletzt Torhüter Neuer auf ihrem Höhepunkt. Wie zuvor Beckenbauer, G. Müller, Overath, Maier und Grabowski oder Augenthaler, Matthäus, Littbarski, Völler und Brehme waren zahlreiche Leistungsträger des vorangegangenen halben bis ganzen Jahrzehnts reif für die Krönung ihrer Karriere.


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