"if you can't beat them in the alley, you can't beat them on the Ice" - (Conn Smythe) Aus dem Poesiealbum der Broad Street Bullies, der deutschen Nationalmannschaft gewidmet!

Donnerstag, 28. Juni 2018

Stell Dir vor, es ist WM und keiner ... , Folge 4


Bevor ich in meinen wohlverdienten Urlaub fliege noch ein letzter Gruß von der WM-Schauer-Front. Zur deutschen Darbietung ist alles gesagt, ich habe bedauerlicherweise bereits vor dem Ausscheiden vieles benannt, woran es lag. Inzwischen wurden auch seitens zahlreicher anderer Experten m.E. genau die zutreffenden Gründe für das Scheitern geäußert. Traurig, daß jetzt als Kollateralschaden auch noch die im Leben nach dem Fußball gescheiterten Knallchargen wie Basler und Matthäus auf der Welle des Rechtgehabthabens und Besserwissens mitschwimmen können. 
Ich muß jetzt hier nicht nochmal ins gleiche Horn blasen.
Aber eins muß noch sein: Der FC Bayern spielte im CL-Halbfinale gegen Madrid zweimal ziemlich gut, war tendenziell in beiden Partien das bessere Team - und scheiterte. Die Meisterschaft wurde zwar souverän gewonnen, aber das wurde von den Spielern eher gleichgültig, bestenfalls mit verhaltener Freude quittiert. Und im Pokalendspiel traten sie dann so auf wie m.E. in 90% ihrer Bundesligaspiele, ohne die letzte Konsequenz, jeder ein Quäntchen weniger als maximal möglich, mit dem Gefühl im Hinterkopf, es reicht sowieso am Ende wieder. (Ganz nebenbei: das Ergebnis, der Spielverlauf und auch der nächste Tag in Frankfurt haben mir die Freude am Fußball ein Stück wieder zurückgegeben) Das schlechte Bild des FCB wurde abgerundet durch das schäbige, unsportliche Verhalten nach dem Finale, einschließlich der kläglichen Einlassungen der Verantwortlichen zum Verhalten nach der Medaillenübergabe - und letztlich auch durch die sehr bescheidene Feier auf dem Balkon in München.
Ich hatte vorher befürchtet, daß die Münchner Spieler diese "Form" mit zur WM bringen würden und leider kam es auch genau so. Außer Neuer, aber der hatte ja nicht mehr beim FCB gespielt. Besonders schlimm Müller, in der Liga als Dauerlament- und -reklamierer mindestens so auffallend wie als Spieler, dem gar nichts gelang und der sinnbildlich für das steht, was von 2014 noch übrig ist.

Die WM insgesamt bietet bisher wenig, was einem den Fußball näher bringen würde. Ich kann diesen "modernen" Fußball, also den, den die meisten Mannschaften spielen, nicht mehr sehen. Ich nenne diese Art, zu spielen, mal lieber "postmodernen Fußball". Anstatt einer Spielidee, einer Vorstellung, durch eigene Initiative und aktive Spielgestaltung setzt ein Großteil der Mannschaften auf Ordnung, physische Präsenz, dazu wahlweise Ballkontrolle (eigentlich schon ein bisschen out) oder lange Bälle. Spiel verhindern als Konzept. Das Mittel der Wahl der meisten Bundesligisten, auch auf europäischer Vereinsebene zu beobachten und bei der WM spielen auch viele Mannschaften so, insbesondere wiederum die Europäer. Meistens unansehnlich. Ich brauche auch Spiele von Island, Dänemark, Polen, Schweden und in der aktuellen Form auch Deutschland nicht. Dann gibt es ein paar Mannschaften, die größere individuelle Klasse haben oder einzelne Spieler mit kreativem Potenzial, die sich noch nicht durchgesetzt haben, wie Frankreich, aber auch Serbien, die Schweiz - mit Abstrichen, Spanien, Argentinien und Portugal. Mannschaften, die wirklich gut Fußball gespielt haben? Kroatien, Belgien und teilweise Brasilien. Da Spiele europäischer Teams uninteressant und unattraktiv sind, sind für mich Spiele wie Japan-Senegal oder Auftritte von Panama das, was eine WM ausmacht. Eine andere Art Fußball und Spieler, für die es noch etwas besonderes ist, auf dieser Bühne zu spielen. Die europäischen Spieler aus den Topvereinen wissen doch nach ihren 60+ Saisonspielen gar nicht, um was sie heute eigentlich spielen.
Aus meiner Sicht ist auch die Champions-League, diese pervertierte Gelddruck- und Selbstbedienungsmaschinerie der größten und reichsten Clubs der Welt mit Schuld an der negativen Entwicklung des Fußballs. Ich brauche auch nicht mehr jedes Jahr 2-4x die Spiele der Bayern gegen Real, Atletico, Barca, Manchester U. oder City, Arsenal oder Chelsea, Juve oder Milan. Interessiert doch keinen mehr, wenn es zur Dutzendware wird. Dank der TV-Rechtevergabe seh ich das ja auch künftig nicht mehr. Die CL verheizt die Spieler, saugt sie aus, die nationale Liga wird Nebensache und bringt so auch keinen Nachwuchs auf konkurrenzfähigem Niveau in ausreichender Zahl hervor. Meister werden ist kein Saisonziel mehr. Gutes Beispiel für die Fehlentwicklung ist ausgerechnet die SGE, die ja Fußballdeutschland gezeigt hat, daß man sich gegen die Bayern nicht totstellen muß. Wo suchen sie nach Spielern, auf was baut die Zukunftsplanung auf? Günstige und doch hinreichend starke ausländische Spieler, mit denen nicht eine Mannschaft für die nächsten Jahre aufgebaut werden soll, sondern auf deren Wertzuwachs im SGE-Trikot spekuliert wird. So gerät der WM-Verlauf zum (für die Eintracht bisher schlechten) Geschäft. Fabian spielt zu wenig, um auf den Markt zu kommen, Rebic ist durch seine Leistungen schon so gut wie weg, Jovic' Wert dürfte sich nicht geändert haben und Gacinovic ist leider gar nicht erst mitgekommen, dürfte somit auch nicht auf den Markt kommen. Aus Bobic-Sicht wäre es besser gewesen, Rebic wäre nicht so aufgefallen (vermutlich hätte dessen Pokalauftritt aber schon gereicht), Fabian hätte einen Stammplatz und gut gespielt, Gacinovic ebenso. Langfristige Planung? Keine. Nachwuchs? Jämmerlich, fast aus der Bundesliga abgestiegen (eine Bundesliga aus Fünf Staffeln, die SGE-Junioren gehören nicht zu den 20-30 besten in Deutschland). Die U 23? Abgemeldet, weil zu teuer. Die gehörte auch ebenso wie die Jugendabteilung zum Eintracht e.V., dementsprechend amateurhaft geführt.
Klingt alles so negativ. Zum Glück beschäftige ich mich kaum noch mit Fußball.
Bis zur nächsten Folge, in etwa 1 Woche.

Montag, 25. Juni 2018

Stell Dir vor, es ist WM und keiner ..., 3. Folge


Deutschland sollte gewarnt sein!

Argentinien, noch längst nicht ausgeschieden, da noch das Spiel gegen - Stand jetzt - überforderte Nigerianer aussteht, sollte den Deutschen ein mahnendes Beispiel sein.
Neuer, Boateng, Kroos, Khedira, Müller und Özil waren vor acht Jahren Stammspieler, als die deutsche Nationalmannschaft in Südafrika begeisternden Angriffsfußball spielte, der zwar "nur" zum dritten Platz reichte, aber weltweit Aufsehen erregte und viel Anerkennung brachte. Vier Jahre später waren sie immer noch Stammspieler, als eine gereifter und abgeklärter spielende Auswahl in Südamerika nacheinander den Brasilianischen Gastgeber deklassierte und das andere Südamerikanische Schwergewicht, die Argentinier um Messi, nach aufopferungsvollem Abnutzungskampf durch ein historisch vollendetes Tor von Götze zum Titelgewinn besiegte. Und jetzt, weitere vier Jahre später sind sie immer noch Stammspieler.
Wieviele Leistungsträger von internationalem Topniveau oder gar Weltklasse sind seit 2014 neu ins deutsche Team gekommen? Genauso viele wie ins Argentinische. Nur das Argentinien auf dem Torhüterposten schlechter aufgestellt ist als Deutschland. Aber eine Entwicklung seit dem letzten Turnier? Bei beiden Finalisten von 2014 Fehlanzeige!   
Aus unterschiedlichen Gründen setzen beide Nationalteams darauf, daß das, was in den letzten Jahren funktioniert hat, irgendwie auch in 2018 noch funktionieren müsste. Erfolg als Veränderungshemmnis.
Die Spieler dieser Nationen haben 60 und mehr Saisonspiele auf dem Buckel. Wer von ihnen hat wohl, zumal aus der Vergangenheit auf Vereins- und Nationalmannschaftsebene erfolgsverwöhnt, nicht im Hinterkopf oder im Unbewussten den Gedanken "Ach, wenn es jetzt schon vorbei wäre, wäre es auch nicht schlimm." Nur ein klitzekleiner Gedanke, ganz hinten, versteckt. Würde natürlich keiner zugeben. Vielleicht erfährt man es irgendwann hinterher, so wie man nach schlecht gelaufenen Turnieren immer hinterher erfahren hat, was alles nicht gepasst hat. Noch ist es natürlich zu früh, die Deutschen abzuschreiben, aber Löw hat, wie die Argentinier, die Chance auf einen Umbruch verpasst. Vielleicht nutzt er sie noch im weiteren Turnierverlauf, immerhin muss er nicht wie sein Argentinischer Kollege Rücksicht auf die Befindlichkeit eines unantastbaren und vermeintlich unersetzlichen Megastars nehmen. Deutschland hat keinen Superstar solcher Strahlkraft, hinter dem sich andere verstecken und aus der Verantwortung stehlen können, was m.E. ein Vorteil der Deutschen ist. 





Dienstag, 19. Juni 2018

Stell Dir vor, es ist WM und keiner ..., 2. Folge

Eröffnungsspielorte: Die Eröffnungsspiele, die ich gesehen habe und Erinnerungen daran. Bis einschließlich 2002 spielte jeweils der Titelverteidiger zum Auftakt vor, oft mit mäßigem Erfolg. Die Geschichte zeigt, daß die Weltmeister, die lange automatisch, d.h. ohne eine Qualifikation spielen zu müssen, qualifiziert waren, oft den Umbruch verpasst haben, vielfach zu lange an den verdienten Spielern über deren Leistungshöhepunkt hinaus festgehalten wurde. Kein neues Problem also. 

Das Stadio Monumental in Buenos Aires, wie das River Plate auch mal genannt wurde, vor seinem Ausbau für die Endrunde 1978 (das fehlende Viertel des Oberranges wurde noch hinzugefügt - s.u.).

Wie damals der Tradition entsprach, war auch 1978 der Titelverteidiger im Eröffnungsspiel am Start. Die Gruppenauslosung wollte es sogar so, daß der 1. auf den 3. der letzten WM traf. Es wurde ein trostloser Kick, leider in diesem Fall ein Vorbote dessen, was die Deutschen im weiteren Verlauf noch bieten sollten. Es war ihr erstes von insgesamt drei 0:0. Sepp Maier, mit seiner Dauerwelle auf der Höhe der Zeit, hielt sehr stark, vorne fand das Traumduo Fischer/Abramczik nie zu gewohnter Form und aus dem Mittelfeld kamen weder von Antreiber Bonhof noch von Spielmacher Flohe die gewünschten Impulse. Lediglich im zweiten Spiel gegen die schwächste aller 16 Mannschaften, Mexiko, gab es mit einem leichten 6:0 ein kleines Strohfeuer. die folgenden vier Spiele blieb Deutschland ohne Sieg, mit einem blamablen 0:0 gegen Tunesien und der Schmach von Cordoba als Tiefpunkt bzw. "noch tieferer Tiefpunkt" (R. Völler) eines verkorksten Turniers. Für Deutschland waren noch einige Weltmeister am Start, aber leider nicht Beckenbauer, Müller, Overath, Grabowski oder Breitner.

Das Camp Nou in Barcelona sah 1982 den Auftritt des Weltmeisters + Diego Maradonna, letzterer vor seinem damaligen Heimpublikum. Gegner war Vize-Europameister Belgien abzüglich seines zurückgetretenen Spielmachers Van Moer. Herausgekommen war ein 1:0 des Außenseiters, der gnadenlos Beton anrührte, Maradonna über den ganzen Platz verfolgte, umzingelte und damit entnervte. Beim Weltmeister stimmte die Mischung nicht, Maradonna, das Jahrhunderttalent, war noch sehr jung, noch nicht soweit, die Mannschaft zu führen, die von 1978 übriggebliebenen waren nicht mehr so weit. Durch die Niederlage zum Auftakt wurde man in der Gruppe nur Zweiter, kam dadurch in der Zwischenrunde in die Hammergruppe mit den nach schwacher Vorrunde (sieglos!) plötzlich durchstartenden Italienern und den zauberhaft aufspielenden Brasilianern. Argentinien verlor beide Spiele, wobei auch Maradonna die Nerven durchgingen, nachdem er permanent gefoult worden war. Brasilien anno 1982, nach Ansicht vieler die beste Mannschaft, die nicht Weltmeister wurde (vor Ungarn 1954 und Holland 1974), scheiterte an Italien, den späteren Weltmeister. Weil sie beim Stand von 2:2, was fürs Halbfinale gereicht hätte, nicht aufhören wollten oder konnten, zu stürmen. Schade u.a. für Socrates, der extra für das Turnier mit dem Rauchen aufgehört hatte!  

1986 eröffneten Italien und Bulgarien das Turnier, im Stadion, wo auch später das Endspiel stattfinden sollte. Ohne Teilnehmer des Eröffnungsspiels. An das Spiel habe ich keine Erinnerung, außer, daß es schlecht war, 1:1 endete und wie so oft einen Titelverteidiger zeigte, bei dem die Mischung aus alt und neu nicht stimmte und - bei den Italienern sowieso meistens so - nach vorne nicht viel zusammenlief. Die Bulgaren waren damals nur als Außenseiter gehandelt worden, völlig zurecht.

Ungewöhnliche Karte, die keinen der Mailänder Vereine als Heimclub ausweist, sondern den Dauerrivalen Juve, der gelegentlich hierher auswich. Das Meazza- oder San Siro-Stadion oder wie auch immer der korrekte Name lautete nach seinem Um- und Ausbau für Italia 1990. Ein trutziger Koloß, meiner Meinung nach unästhetisch, Brutalismus von oben.

Dasselbe Stadion, diesmal von innen, sogar während des Eröffnungsspieles Argentinien - Kamerun, aufgenommen. Das Spiel war ähnlich angelegt wie ARG - BEL acht Jahre zuvor: 11 gegen Maradonna, wobei Kamerun viel rustikaler zu Werke ging als Belgien, Maradonna oft schmerzhaft getroffen zu Boden ging. Die Freude über den Außenseitersieg (1:0) wurde erheblich vergällt durch das absurd harte Einsteigen der Afrikaner. Im weiteren Verlauf wurden die Verhältnisse etwas zurechtgerückt: Die Kameruner fanden auf den Pfad der Tugend zurück, begeisterten durch Fußballkunst und drangen ins Viertelfinale vor, wo sie England am Rand der Niederlage hatten. Argentinien kam mit einem Maradonna in Topform, allerdings mehr oder weniger als Ein-Mann-Show, ins Finale. Also der seltene Fall, da ein Team, das das Eröffnungsspiel bestritten hatte, ins Finale kam.

Deutschland reiste als Weltmeister in die USA, vom damals schon zum Dummschwätzen neigenden Beckenbauer bei Amtsübergabe für unschlagbar erklärt. Was er nicht vorhergesehen hatte, war, daß die Mischung aus neuen und alten nicht harmonierte. Effenberg, Sammer, Helmer und ein gereifter Andi Möller, allesamt Alpha-Tiere in ihren Vereinen, einerseits und Matthäus andererseits waren keine Einheit, Häßler hatte wie der Kapitän und der 34-jährige Völler den Zenit längst überschritten und mit Bodo Illgner setzte Trainer Vogts auf den falschen Torhüter, Köpke war seinerzeit der beste deutsche Keeper. Das Eröffnungsspiel gegen Bolivien endete immerhin 1:0 für den Titelverteidiger, aber das Aus kam nach dürftigen Leistungen verdient im Viertelfinale. Das Turnier in den USA stellte Zuschauerrekorde auf, spielerisch war es arm, Weltmeister wurde Brasilien, mit Leistungen, derer sich das heimische Fußballvolk eher schämte. Es wurde sogar gesagt, sie hätten den Fußball getötet. Die gescheiterte Mannschaft von 1982 um Zico, Sokrates, Cerezo, Falcao, Eder u.a., genießt jedenfalls mehr Sympathien und Anerkennung als die Weltmeister von 1994, die in einem deprimierenden Finale die Italiener im Elfmeterschießen besiegten.

1998 war wieder einmal das Eröffnungsspiel im späteren Finalstadion, und, selten, der Titelverteidiger kam zum Finale wieder nach Saint Denis. Brasilien schlug zum Turnierauftakt Schottland mit 2:1, aber ich muß gestehen, daß ich das nachlesen musste, obwohl ich das Spiel gesehen habe. Durchs Turnier kamen die Brasilianer ohne Glanz, im Finale machte der weltbeste Spieler der nächsten Jahre zwei Tore gegen Brasilien - mit dem Kopf! - während der in seiner Blüte stehende Ronaldo, durch unklare gesundheitliche Probleme geschwächt (die Rede war u.a. von epileptischen Anfällen), im Endspiel kein Faktor war. 

Das Stade de France, Schauplatz von Eröffnungsspiel und Finale 1998, von innen. 

2002 war erstmals die Ausrichtung an zwei Länder vergeben worden. Korea bekam das Eröffnungsspiel, Japan dafür das Finale. So sahen knapp 70.000 Zuschauer mal wieder einen Fehlstart eines Titelverteidigers. Die Franzosen traten wie viele vor ihnen auf, satt, behäbig, überheblich und ohne Biß. Auftaktgegner war Senegal und die wackeren Afrikaner erarbeiteten sich einen 1:0-Sieg gegen die ehemalige Kolonialmacht. Die Franzosen holten nur einen Punkt, erzielten kein Tor und wurden Gruppenletzter. Das Finale bestritten Brasilien (zum dritten Mal in Folge!) und Deutschland. Die Mannschaft von Rudi Völler war nicht gerade eine Zierde für den Fußballsport, man rumpelte sich durchs Turnier und scheiterte verdient an Ronaldo, Ronaldinho und Rivaldo. Leider ausgerechnet durch einen Patzer des großartig haltenden Oli Kahn begünstigt. Bei einem anderen Torhüter hätte man die nach vorne abprallende Parade, die zur Führung der Brasilianer beitrug, vielleicht noch nicht mal als Fehler bewertet, aber Kahn war so gut, daß die Maßstäbe bei ihm höher waren.

2006 brachte die Abkehr vom Eröffnungsspiel mit Titelverteidiger. Stattdessen spielte fortan der Gastgeber. In Deutschland 2006 bekam ein Spielort (die Fußballhauptstadt) den Zuschlag für das Eröffnungsspiel, ein anderer (die Bundeshauptstadt) den fürs Finale. Ein oft durchgeführter Akt des Proporzes aber auch der Verteilungsgerechtigkeit, angemessen einem Gastgeberland mit reicher Fußballtradition und -Infrastruktur.

Das Münchner Stadion in der Innenansicht. Hier stellte die Klinsmann-Mannschaft mit einem furiosen 4:2 gegen Costa Rica die Weichen für ihr sogenanntes "Sommermärchen". Das deutsche Team scheiterte im Halbfinale nach der 118. Minute an Italien. Schon in der Runde zuvor war die couragiert auftretende Mannschaft gegen sehr starke Argentinier an ihre Grenzen gestoßen, hatte aber im Elfmeterschießen die Oberhand behalten. Immerhin das seit langem, wenn nicht sogar das attraktivste Eröffnungsspiel überhaupt.    

2010 eröffnete Gastgeber Südafrika gegen Mexiko in Johannesburg. Nicht im hier abgebildeten Ellis Park, sondern im moderneren Soccer Park, von dem ich kein Bild habe. Die Vergabe an ein fußballerisch eher limitiertes Land brachte die Rückkehr zur Eröffnungs-Magerkost, das Spiel endete 1:1 Trotz eines Sieges über eine zerrüttete französische Mannschaft im dritten Gruppenspiel, war für den Gastgeber wegen der schlechteren Tordifferenz schon nach der Vorrunde Schluss. Es blieb dennoch ein Stimmungsvolles Turnier, in dem die Deutschen teilweise begeisternden Fußball spielten (4:1 gegen England im Achtel- und 4:0 gegen Argentinien im Viertelfinale), gegen Spanien im Halbfinale aber keine Lösung mehr fanden. Die Weiterentwicklung seit 2006 machte jedenfalls Freude, man hatte eine Serie von drei Halbfinals in Folge und verdankte die Erfolge '06 und'10 ausnahmsweise nicht den "deutschen Tugenden", die Zeiten von Briegel, Jakobs, Förster und Förster, Eder, Ramelow und Jeremies als prototypische deutsche Spieler waren vorbei. Weltmeister wurde Spanien, durch Tor von Iniesta, dem größten Spielmacher der Zeit, im damals schon grassierenden Hype um C. Ronaldo und Messi aber immer unterhalb des Radars.

2014 wurde in Sao Paolo natürlich nicht im hier abgebildeten Morumbi eröffnet, sondern in einem nagelneuen FIFA-konformen Vorzeigepalast. Brasilien gewann gegen Kroatien 3:1 und hatte, auch wenn nicht restlos überzeugend, scheinbar seinen ersten Schritt zum programmierten Titelgewinn getan. Die pathostriefenden, emotional maßlos überladenen Auftritte der Mannschaft vor den Spielen deuteten jedoch schon früh auf die große Anspannung der Gastgeber und ihre letztlich zum Scheitern führende Überforderung hin. Immerhin kam der Gastgeber bis ins Halbfinale, aber historisch einmalige 1:10 Tore in den beiden letzten Spielen sind der Eindruck, der zurückbleibt, unauslöschbar vor allem durch die 1:7-Demütigung durch den späteren Weltmeister Deutschland. Die Mannschaft von Jogi Löw war am logischen Höhepunkt ihrer kontinuierlichen Entwicklung der letzten 10 Jahre angekommen. Ausgerechnet der verletzungsbedingte und Panik auslösende Ausfall von Mannschaftskapitän Ballack vor dem Turnier in Südafrika vier Jahre zuvor hatte endgültig eine Wende zum schnelleren Offensivfußball gebracht, der von Özil, Müller, Lahm und Schweinsteiger geprägt war. In Brasilien 2014 waren Schweinsteiger und Lahm, Özil und Müller, Hummels und Boateng, Kroos und nicht zuletzt Torhüter Neuer auf ihrem Höhepunkt. Wie zuvor Beckenbauer, G. Müller, Overath, Maier und Grabowski oder Augenthaler, Matthäus, Littbarski, Völler und Brehme waren zahlreiche Leistungsträger des vorangegangenen halben bis ganzen Jahrzehnts reif für die Krönung ihrer Karriere.


Stell Dir vor, es ist WM und keiner ..., 1. Folge

Jürgen Grabowski nahm für Eintracht Frankfurt an drei Weltmeisterschaften teil. 1966 Vize-Weltmeister ohne Einsatz, 1970 Dritter, wobei er, meist eingewechselt, mehrere wichtige Tore vorbereitete und 1974 als Stammspieler Weltmeister. In der Nationalelf der Ära Overath/Netzer musste er Außenstürmer spielen, im Eintracht-Trikot war er jahrelang einer der besten, zeitweise der Beste Zehner. 1978 wollte Trainer Helmut Schön den Frankfurter Regisseur, seinerzeit in der Form seines Lebens, zum Rücktritt vom Rücktritt überreden. Grabi blieb standhaft und ersparte sich eine aus deutscher Sicht peinliche WM. Ein Sieg, vier Unentschieden (3x 0:0) und die sagenumwobene Niederlage von Cordoba, das war die Bilanz des seinerzeitigen Titelverteidigers. Das 0:0 im Eröffnungsspiel gegen Polen war das erste von zehn Eröffnungsspielen, die ich in Folge gesehen habe. Ein ödes Gekicke, zum Wegsehen. 

Die ersten 6 Tage sind vorbei und ich habe kostbare Lebenszeit gewonnen, indem ich erst 2 Spiele in voller Länge gesehen habe. Dazu verhalf mir nicht nur mein Vorsatz, sorgfältig auszuwählen, sondern auch, daß keines der Spiele, in die ich mich eingeklinkt habe zum Verweilen eingeladen hat. 
Das Eröffnungsspiel: das erste seit 1978, das ich ausgelassen habe. Seinerzeit war es noch dem Titelträger vorbehalten, das erste Spiel zu bestreiten, irgendwann haben sie dann dem Gastgeber das erste Spiel gegeben. Russland - Saudi-Arabien kann nun wirklich keiner verlangen! Die Spiele EGY-URU, MAR-IRN, CR-SRB, SWE-KOR? Nicht mit mir. Nicht gesehen und nichts verpasst. ESP-POR? Hätte ich gerne gesehen, aber da konnte ich gerade nicht. FRA-AUS und PER-DAN habe ich mal reingeschaut. Die erstgenannte Partie fand ich langweilig, FRA wirkte ideenlos, behäbig, selbstgefällig (das Urteil fällte ich, bevor ich die Deutschen gesehen habe). Peru fand ich in seinen Bemühungen ebenso sympathisch (ich habe ein Herz für Peru, seit Cubillas anno 1978 die Schotten zerlegt hat und Quiroga den Elfmeter gehalten hat) wie unbedarft. Mannschaften mit solchen Anlagen verlieren normalerweise immer gegen die körperlich überlegenen, nüchternen und abgebrühten Nord- und Mitteleuropäer. ARG-ISL nach dem 1:0 verlassen, zufällig das 1:1 mitgekriegt, mehr musste man wohl von dem Spiel nicht unbedingt sehen. ARG hat sein Messi-Problem, das ja auch gerne kleingeredet wird, noch nicht gelöst.
KRO-NIG war, soweit ich gesehen habe ziemlich einseitig, eine bemühte aber zu limitierte Mannschaft gegen eine mit viel Dynamik und individueller Klasse aufspielende, der Sieg der Rebic-Truppe war nie gefährdet. BRA-SUI dann das zweite Spiel, das ich komplett gesehen habe. Auch die Brasilianer überzeugten nicht ganz, die Schweizer haben, ohne eigene Torgefahr i.e.S. zu generieren, einen letztlich nicht sehr gefährdeten Punkt geholt. Seferovic spielte so, wie wir ihn in Frankfurt in Erinnerung haben.
Das mit der Unbedarftheit kann man wohl auch von CRC sagen, so daß Serbien einen weiteren der zahlreichen glanzlosen 1:0-Siege holte.
Ein 1:0 der attraktiveren Sorte gelang dagegen den Mexikanern. Womit wir bei dem von mir oft strapazierten Thema wären:  Der deutsche Fußball hat sich seit dem WM-Sieg vor vier Jahren zurück entwickelt. Die Bundesliga stagniert, international holt der FC Bayern Achtungserfolge, der Rest ist betretenes Schweigen. Die "Mannschaft" weist aktuell keinen Weltklassespieler auf, das Spiel wirkt schon seit längerem - auch bei der letzten EM zu sehen - ideenlos. Wenn dann auch noch Einstellung und Willen fehlen, dann kommt so etwas raus wie am Sonntag gegen Mexiko. Die DFB-Elf hat gespielt wie die Bayern im Pokalfinale, alle mit 80% und der diffusen Anmutung, es werde schon irgendwie reichen. Und der Trainer ist - Stand jetzt - nicht Willens, Spieler, die es nicht mehr bringen, loszulassen. Es werden im Nachgang Durchhalteparolen abgesondert, die man aus dem Bundesliga-Abstiegskampf kennt. Löw hielt bei der EM an Schweinsteiger fest, der offensichtlich überfordert war und tut das selbe nun mit Özil, Müller, Khedira, Boateng und Hummels. Ich bin zwar nicht der Meinung, daß alle Genannten aus der Startelf verschwinden sollten, aber irgendwie sollte sich in der Aufstellung wiederspiegeln, welches Standing die Spieler in der abgelaufenen Saison in ihren Clubs hatten und welchen Leistungsstand sie aktuell tatsächlich haben - anstatt welchen sie haben könnten aufgrund eines irgendwann einmal gezeigten Potenzials. Draxler kann für Überraschendes sorgen und Spiele entscheiden, so der Trainer vor dem ersten Spiel. Er hat es aber nicht getan. Kroos, der designierte Heilsbringer hat außer Paßsicherheit (selbst die nur mit Abstrichen) nichts zu bieten gehabt. Seine überragenden Paßstatistiken kommen ja in erster Linie durch Quer- und Rückpässe zustande - Paßsicherheit durch Sicherheitspässe. Kreativität, das hat man nicht zum ersten Mal gesehen, gehört nicht zu seinen Stärken. Spannend für mich die Frage, ob die etablierten Spieler nun den Trainer haben hängen lassen oder ob der Trainer mit seiner Personalpolitik (wohl unbeabsichtigt) die gestandenen Spieler demontiert, indem er sie bringt, obwohl sie es nicht (mehr?) besser können. Es kann jedenfalls nur besser werden. Was hätte die hungrige, gierige und entschlossene Mannschaft aus dem Halbfinale oder Finale von 2014 wohl mit der Deutschen von heute gemacht? Sie hätten sie mit Haut und Haaren aufgefressen, vernichtet. Die gute Nachricht: SWE und KOR sind fußballerisch sehr limitiert. Ob die "Mannschaft" eine Wende zum Guten schafft, steht auf einem anderen Blatt. Im Falle eines vorher kaum vorstellbar gewesenen Scheiterns sollte das vorerst verkündete "weiter so" (so ganz nebenbei - welche Linie, bei der man bleiben wolle, meint Löw?) sehr kritisch auf den Prüfstand kommen. Es kann nicht alles schlecht sein, was vorher jahrelang gut war, führt schnurstracks noch weiter bergab. Das ganze glattgebügelte, stromlinienförmige Vermarktungsprodukt "Mannschaft" ergibt nur einen Sinn, wenn die Leistung stimmt. Stand heute also nicht.

Daß von den ganzen auserkorenen Favoriten und Geheimfavoriten nur Belgien überzeugt hat, ist auch kein Trost. Keiner hat so schlecht gespielt wie Deutschland und keiner außer Deutschland hat verloren.